Über Sandra Morel
Nach über 10 Jahren in der Tech-Branche setzt sich Sandra leidenschaftlich für die Themen Neurodiversität, Neuroatypie und Hochsensibilität am Arbeitsplatz ein. Ihr Ziel: mit Sensibilität (und einer Prise Humor) neuroatypischen Menschen zum Erfolg zu bringen – und Unternehmen zu begleiten, die Stärken neurologischer Vielfalt bestmöglich zu nutzen.
Über die Episode
Willkommen zu einer ganz besonderen Folge vom CULTiTALK! Diesmal führt Georg Wolfgang, euer Gastgeber, ein inspirierendes Gespräch mit Sandra Morel, Coachin, Beraterin und Gründerin von „Sens & Nuances“. Gemeinsam tauchen sie tief in das Thema Neurodiversität ein und zeigen, warum das nicht nur ein gesellschaftlich, sondern auch unternehmerisch entscheidendes Thema ist – gerade, wenn es um Kultur, Diversität und nachhaltige Performance in Organisationen geht.
Wer sind die Gesprächspartner?
Bevor wir eintauchen, ein kurzer Überblick für dich:
Georg Wolfgang ist Host des CULTiTALK-Podcasts und Kulturenthusiast, der sich schon lange für gesellschaftliche Transformation und Diversität in Organisationen interessiert.
Sandra Morel kommt ursprünglich aus Frankreich, lebt seit 15 Jahren in Berlin und hat ihren Beruf als Coachin, Trainerin und Unternehmensberaterin rund um das Thema Neurodiversität gefunden – nicht zuletzt, weil sie persönlich mit dem Thema Hochsensibilität und weiteren neurodivergenten Aspekten vertraut ist.
Was ist eigentlich Neurodiversität? Grundlagen für dein Verständnis
Der Begriff „Neurodiversität“ begegnet uns immer häufiger, aber was bedeutet er konkret?
Neurodiversität bezieht sich auf die natürliche Vielfalt menschlicher Gehirne und Denkweisen. Jeder Mensch denkt, fühlt und reagiert anders – das ist auch schon Neurodiversität! Doch im allgemeinen Sprachgebrauch meint man damit meistens die Abweichung von einer sogenannten „Norm“: Menschen mit ADHS, Autismus, Hochsensibilität, Lernschwächen, aber auch Hochbegabung oder Synästhesie.
Sandra erklärt sehr anschaulich:
„Neurodiversität – das umfasst erstmal alle. Aber der Begriff wird oft mit Neuroatypie oder Neurodivergenz verwechselt. Und da sind wir bei Autismus, ADHS, Dyslexie usw. Es geht immer darum, dass das Gehirn anders funktioniert als die Norm.“
Norm – das ist übrigens ein spannender Begriff, den wir gleich noch kritisch betrachten werden!
Der unsichtbare Faktor: Warum spricht keiner darüber?
Vielleicht hast auch du schon mal gemerkt, dass über Themen wie Neurodiversität im Arbeitskontext wenig gesprochen wird. Kein Wunder: Man sieht den Unterschied meist nicht! Viele Betroffene finden erst spät heraus, wie sie „anders“ sind – so wie Sandra selbst:
„Ich wusste zwar, dass ich intensiver fühle und wahrnehme, aber mit dem Begriff Hochsensibilität und dann den weiteren Facetten bin ich erst durch Umwege in meiner Karriere in Kontakt gekommen.“
Georg bringt es auf den Punkt: Die meisten Menschen wissen nichts über diese Unterschiede oder ahnen zwar, dass sie „nicht reinpassen“, haben aber weder einen Namen, noch das passende Vokabular dafür. Das erschwert Integration und Akzeptanz enorm!
Hochsensibilität, ADHS und Co. – was steckt wirklich dahinter?
Besonders spannend ist der Einblick von Sandra in die gelebte Erfahrung Hochsensibilität. Sie beschreibt, dass hochsensible Menschen mehr, intensiver und schneller Reize aufnehmen und diese auch tiefer verarbeiten. Das klingt erst einmal nach einer Schwäche – ist aber im Kern eine besondere Stärke!
„Hochsensibilität bedeutet nicht nur, emotional zu sein. Die fünf Sinne sind feiner. Das Gehirn bekommt einfach viel mehr Infos zu verarbeiten!“
Wodurch entsteht daraus eine Herausforderung? Das System – ob Familie, Schule oder Arbeitsplatz – ist darauf nicht eingestellt. Besonders in lauten Großraumbüros oder in rational dominierten Branchen (z.B. Tech) führen diese Besonderheiten schnell zu Stress.
Sandra betont: Viele neurodivergente Menschen entwickeln enorme Strategien, um trotzdem zu „funktionieren“ – aber oft zu Lasten des Wohlbefindens.
Stigma und Superkraft: Wie Neurodiversität zu deinem Vorteil wird
„Sei nicht so sensibel“ – diesen Spruch kennen viele von uns noch aus Kindheit oder Schule. Sensibilität wird gesellschaftlich häufig abgewertet, und auch in patriarchalen oder leistungsorientierten Organisationen gelten emotionale Reaktionen oft als Makel.
Doch das ist ein Irrtum, erklärt Georg. Hochsensible und andere neurodivergente Menschen nehmen oft viel früher Stimmungen im Raum wahr, merken, wenn Mitarbeitende überfordert oder gestresst sind, und können dies antizipieren – eine echte Superkraft!
Es braucht aber ein Umdenken im System, denn:
„Oft heißt es: ‘Du bist falsch, pass dich an.’ Aber eigentlich müsste das System für alle offen gestaltet sein – für alle Fähigkeiten, Besonderheiten und Nuancen.“
Unternehmen und die Verantwortung für Diversität
Hand aufs Herz: Wie sieht es in deinem Unternehmen aus? Wahrscheinlich gibt es Programme für Geschlechterdiversität – aber Neurodiversität ist häufig „für später auf dem Zettel“.
Warum ist das so? Sandra vermutet, die Vielfalt an Facetten sei schwer greifbar, und viele wünschen sich die eine Lösung für alle – die gibt es bei Neurodiversität schlicht nicht.
„Jedes Unternehmen hätte gerne eine One-Fits-All-Lösung. Aber nein, es braucht Flexibilität – je nach Bereich, Aufgabe, Kultur.“
Schade, denn die Produktivität, Innovationskraft und sogar das wirtschaftliche Ergebnis könnten profitieren, wenn das Potenzial ALLER Mitarbeitenden ausgeschöpft wird!
Praktische Ansätze: Wie können Unternehmen besser werden?
Wie können Unternehmen konkret einen Unterschied machen?
Sandra nennt Beispiele aus ihrer Beratungspraxis:
- Flexible Arbeitsorte: Homeoffice ermöglichen, wo Konzentration besser gelingt
- Räume schaffen: Ruheräume, ruhige Zonen und verschiedene Arbeitsbereiche anbieten
- Hilfsmittel zulassen: Noise-Cancelling-Headsets nicht als „unhöflich“ brandmarken, sondern als wertvolles Tool akzeptieren
- Individuelle Kommunikation: Herausfinden, wie Mitarbeitende Informationen am besten aufnehmen (schriftlich, mündlich, live, asynchron etc.)
- Licht, Lärm und Pausen flexibilisieren: Auch kleine Anpassungen bringen viel
Das Wichtigste dabei: Nicht jeder braucht alles! Es reicht, Optionen bereitzustellen und ehrlich zu erfragen: Was brauchst du?
Die Rolle von Führungskräften und HR
Nicht zuletzt sind Führungskräfte in der Verantwortung, individuelle Bedürfnisse zu erkennen und den Kontext so zu gestalten, dass alle ihr Potenzial entfalten können.
Georg betont:
„Es ist eine unternehmerische Verantwortung, diese Kontexte aktiv zu gestalten. Wenn nicht, lässt du Potenzial brachliegen! Das ist kein Nice-to-have, sondern ein Muss.“
Das erfordert:
- Reflexion über die eigenen Bias und Erwartungen („Weil ich pünktlich bin, müssen es alle sein?“)
- Einen ehrlicheren Austausch über Präferenzen und Grenzen
- Mut, über die eigene Definition von Erfolg und Leistung hinauszudenken
Missverständnisse und Vorurteile: Wie hängen sie mit „Judging“ zusammen?
Ein wiederkehrendes Thema: Judgment. Sobald Unterschiede auftauchen, greifen viele sofort zum „wahren Maßstab“ – ihren eigenen. Das sorgt für permanente Bewertung und stressige Konflikte („Die ist immer zu spät – respektlos!“).
Hier helfen:
- Selbstreflexion – Was kann ich kontrollieren, was nicht?
- Empathie – Die Gründe für das Verhalten anderer anerkennen
- Transparenz – Bedürfnisse ansprechen und gemeinsam Lösungen finden
Sandra empfiehlt, Fragebögen oder Präferenz-Konferenzen im Team zum Standard zu machen: So kennen alle die wichtigsten Eigenarten und können darauf Rücksicht nehmen.
Potenziale nutzen statt an Schwächen herumdoktern
In Schule und Arbeitswelt wird immer noch an Defiziten geschraubt – doch eigentlich sollten Stärken im Mittelpunkt stehen. Sandra bringt das Beispiel auf den Punkt:
„Ich würde nie einem Designer die Buchhaltung aufdrücken oder andersherum. Man sollte die Stärken der Leute kennen und nutzen!“
Diversität – auch neurologische – ist ein riesiger Wettbewerbsvorteil. Unterschiedliche Werkzeuge, Denkweisen und Präferenzen im Team sind genau das, was Innovation und Fortschritt ermöglichen.
Neurodiversität als Teil gesellschaftlicher Vielfalt – und nicht als Konkurrenz zu anderen Diversity-Themen
Ein wichtiger Punkt: Neurodiversität steht nicht in Konkurrenz zu Geschlecht, Herkunft usw. Sandra wünscht sich, dass Diversität als Grundhaltung verstanden wird – denn neurodivers sind alle Menschen!
Das Ziel: Neurodiversität als selbstverständliches Fundament in Unternehmen – nicht als Nischenthema für die nächsten Jahre.
Chancen und Privilegien: nicht jede/r kann für sich selbst kämpfen
Sandra weist auch auf die Kehrseite hin: Für viele ist es ein Privileg, für den passenden Kontext einstehen zu können. Wer auf seinen Job existenziell angewiesen ist, kann selten Forderungen stellen oder seine Bedürfnisse offen kommunizieren.
Daher ist es umso entscheidender, dass Unternehmen proaktiv Räume für Diversität schaffen und nicht auf die Initiative Einzelner warten.
Fazit: Verantwortung, Akzeptanz und gelebte Vielfalt
Zum Abschluss geben Georg und Sandra noch einen tiefgründigen Ausblick:
- Akzeptanz, dass andere anders sind und arbeiten
- Offenheit für neue Perspektiven, statt vorschnellem Verurteilen
- Die Verantwortungsbereitschaft, als Organisation Strukturen zu schaffen, in denen alle Menschen ihre Stärken entfalten können
Wie Sandra sagt:
„Akzeptiere, dass Menschen die Dinge anders machen als du – und dass das völlig in Ordnung ist.“
Innovation, Wohlbefinden und nachhaltiger Erfolg in Unternehmen beruhen darauf, alle Potenziale und Nuancen aktiv zu nutzen. Das ist nicht nur ein moralischer Imperativ, sondern auch ein klarer Business Case.
Alle Links zu Sandra Morel:
LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/sandramorel/
Unternehmen: http://www.sens-nuances.com