Über Paul Hammelmann
Paul ist seit über 12 Jahren in der Employer Branding & Talent Acquisition Welt zu Hause und hat bereits mehrere leitende Funktionen in verschiedenen Branchen ausgeübt. Aktuell ist er Head Talent Attraction bei Sunrise und verantwortlich für die Employer Branding und Recruiting Strategy, alle Talent Sourcing Aktivitäten, global Mobility sowie das Contingent Workforce Management für alle Sunrise Marken in der Schweiz.
Über die Episode
Georg begrüßt seinen Gast Paul Hammelmann, den Head of Talent Attraction bei Sunrise. Schon zu Beginn stellt Georg klar, dass der Anlass des Interviews ein aktueller ist: Sunrise hat kürzlich den neuen „EVP“ – die Employee Value Proposition – veröffentlicht. Da dieser Prozess jahrelange Vorarbeit und intensive Beschäftigung mit sich bringt, möchte Georg mit Paul über die Entstehung, die Herausforderungen und die Bedeutung dieses neuen EVP sprechen.
Paul stellt sich anschließend persönlich vor, schildert seine Rolle bei Sunrise (Talent Attraction, Recruiting, Employer Branding, Contingent Workforce), seinen Werdegang (12 Jahre im Recruiting und Employer Branding mit Stationen in Hotellerie, Gastronomie, Versicherung und Beratung) sowie den aktuellen Unternehmenskontext: Sunrise ist mit ca. 3000 Mitarbeitenden der zweitgrößte Telekommunikationsanbieter in der Schweiz – ein stark umkämpfter Markt.
Die Unternehmensgeschichte und -struktur von Sunrise
Paul erläutert die bewegte Unternehmensgeschichte von Sunrise. 2020 wurde Sunrise vom Konkurrenten UPC übernommen, beide ehemals eigenständige Telco-Anbieter, wodurch zwei sehr unterschiedliche Unternehmens- und Kulturen (die „rote“ und „blaue“ Kultur) aufeinanderprallten. Sunrise mutierte damit zur Tochtergesellschaft von Liberty Global und wurde dann, Anfang des darauffolgenden Jahres, in einem Spin-off wieder aus diesem globalen Großkonzern herausgelöst und an die Börse gebracht. Sunrise ist also heute wieder ein eigenständiges, schweizerisch geprägtes Unternehmen.
All diese Veränderungen hatten fundamentale Auswirkungen auf die Identität, Zusammengehörigkeit, das Selbstbild und damit auch auf das Employer Branding des Unternehmens. Parallel dazu wurde, wie Paul schildert, innerhalb der letzten 12-13 Monate die umfassende EVP-Journey gestartet – ausgerechnet in dieser Phase hat Sunrise auch noch eine komplett neue KI-basierte Recruiting-Plattform aufgebaut und ein neues Karriereportal lanciert. Diese Gleichzeitigkeit von kulturellem, organisatorischem und technischem Wandel ist ein zentrales Motiv des Gesprächs.
Herausforderungen im Telco-Markt und für Employer Branding
Georg interessiert sich vor allem für die Konsequenzen solcher Unternehmensumbrüche für Employer Branding – und Paul gibt einen Einblick in die Tiefe dieser Herausforderungen: Der Schweizer Telco-Markt ist äußerst gesättigt und das Produktangebot vergleichsweise austauschbar. Das bedeutet: Differenzierung erfolgt vor allem durch die Marke – und, immer stärker, durch die Arbeitgebermarke (Employer Brand). Schnell wechselnde Marktbedingungen, technologische Veränderungen und ein harter Wettbewerb zwingen Sunrise, nach innen wie außen attraktiv und klar positioniert zu sein.
Hierdurch ergibt sich ein enormes Maß an Dynamik, Geschwindigkeit und Änderungsdruck, das sich auch in der Unternehmenskultur widerspiegelt.
Der EVP-Prozess bei Sunrise
Georg beschreibt die Employee Value Proposition als das zentrale Arbeitgeberversprechen – vergleichbar mit einer Konsumentenmarke, nur spezifisch für Mitarbeitende und potenzielle Talente. Er legt dar, dass eine EVP nicht einfach ein Marketing-Slogan ist, sondern Identität und Kultur im Innersten widerspiegeln und authentisch nach außen transportieren muss.
Paul schildert die Ausgangslage bei Sunrise:
Nach intensiven Veränderungen bestand der explizite Auftrag, das Thema Employer Branding, Recruiting und Talent Attraction neu aufzustellen. Er beschreibt die Diskussion um die Begriffsdefinitionen (Employer Brand, EVP), die Klärung der strategischen Relevanz und schließlich die Entscheidung, das EVP-Thema als strukturiertes (wenn auch nie endendes) Projekt aufzusetzen: Ziel war es, die Kernidentität zu erarbeiten und in eine Value Proposition zu übersetzen.
Der Prozess – ohne Agentur, „lehrbuchmäßig“
Sunrise entschied, in der ersten Phase bewusst ohne externe Agentur zu arbeiten. Im interdisziplinären Team führten sie Interviews, Fokusgruppen, Workshops in allen Unternehmensbereichen und mit allen Hierarchieebenen durch: von Lernenden bis zum Senior Management, in allen Sprachregionen der Schweiz (Deutsch, Französisch, Italienisch), auf der Fläche wie in der Zentrale.
Das Ergebnis war überraschend klar und konsistent: Bereits nach dem ersten Workshop war die „Kernidentität“ sichtbar – dennoch war es wichtig, mit belastbaren Daten und der Einbindung vieler Perspektiven arbeiten zu können. Das kulturelle Challenger-Mindset war überall spürbar: Sunrise nimmt als Nummer 2 im Markt die Rolle des „Challengers“ an – man ist nie zufrieden, will immer weiter, hat einen inhärenten Antrieb, den Status quo zu hinterfragen und sich zu verbessern.
Kreativarbeit mit externer Agentur
Erst im zweiten Schritt wurde dann eine Kreativagentur eingebunden, um den Kern des EVP in einen passenden Claim, ein stimmiges Wording und eine neue visuelle Sprache zu gießen. Wichtig war dabei: Nicht die eigentliche Arbeit an der Identität zu übertünchen, sondern eine authentische Übersetzung in wirkungsvolles Storytelling zu liefern. Der Claim, der daraus entstand: „Challenges Wanted“.
Diese zentrale Arbeitgeberversprechen, so Paul, bildet die Klammer für alle internen und externen Aktivitäten – es verzahnt Vision („Leading Challenger“), Unternehmensstrategie, Werte (Bold, Passion, One) und Employer Brand auf eine für alle nachvollziehbare Weise.
Partizipation als Erfolgsfaktor
Zentral im Prozess war, dass eine möglichst breite Mitarbeitendeneinbindung erfolgte – eben nicht nur die „richtigen/strategisch wichtigen“ zehn Leute, sondern repräsentative Gruppen aller Ebenen und Aufgabenbereiche. Paul und Georg diskutieren dabei ausführlich, warum diese breite Partizipation so wichtig ist:
- Sie sorgt nicht nur für qualitativ gute Ergebnisse („Was sind wir wirklich?“),
- sondern vor allem für Identifikation, Loyalität und „Momentum“ im Rollout-Prozess.
Gerade durch die frühe Einbindung und das Gefühl, dass viele Stimmen gehört wurden, entsteht Akzeptanz, Stolz und das „Wir-Gefühl“, das für jede nachhaltige kulturelle Veränderung entscheidend ist.
Paul betont, wie die unterschiedlichen Herausforderungen – Mehrsprachigkeit, verschiedene regionale Sichtweisen, große Außendienst- und Shop-Belegschaften, strategisches Management – im Prozess berücksichtigt wurden, sodass die EVP wirklich für alle Menschen bei Sunrise nachvollziehbar und anschlussfähig ist.
Von der Analyse zur Umsetzung: „Challenges Wanted“ und was es konkret bedeutet
Der Claim „Challenges Wanted“ ist für Sunrise mehr als ein Slogan: Er beschreibt ein Selbstverständnis, das sich durch die ganze Organisation zieht. Das Unternehmen lebt die Rolle des Challengers – immer den Status quo hinterfragend, neue Wege suchend und nie ganz zufrieden mit dem Bestehenden.
Konkret handelt es sich um:
- Eine identitätsstiftende Klammer, die sowohl nach innen (an die Mitarbeitenden) als auch nach außen (an Talente) funktioniert.
- Ein Mindset, das als Auswahl- und Entwicklungskriterium für Mitarbeitende gilt – People who thrive bei Sunrise müssen dieses Challenger-Gen mitbringen.
Der Rollout der EVP wurde begleitet von einer neuen Karriere-Website (mit einer modernen Bildsprache und Tone of Voice), aber vor allem durch das Format der „Real Challenger Talks“. Dies sind Videointerviews mit echten Mitarbeitenden – bewusst keine gecasteten Testimonials –, die ihre persönliche Challenger-Geschichte erzählen. Dies schafft Authentizität, Nahbarkeit und unterstreicht die Glaubwürdigkeit des Claims.
Georg lobt dieses Vorgehen deutlich: Wirkliche Veränderung entsteht nie durch Worte, sondern durch Geschichten, durch Verbindung, durch Authentizität.
Die Balance zwischen „Ist“ und „Soll“ – wie viel Aspiration verträgt eine EVP?
Ein Kernthema im Gespräch ist die Frage, wie viel „Ist-Beschreibung“ und wie viel „Veränderungsanspruch“ (Soll-Zustand) eine EVP braucht.
Paul schildert die Erfahrung bei Sunrise:
- Gerade in stark veränderungsgetriebenen Unternehmen birgt eine zu starke Ist-Orientierung die Gefahr, zu schnell nicht mehr aktuell zu sein.
- Ist eine EVP jedoch zu visionär („Soll“), fehlt Mitarbeitenden die Identifikation.
Bei Sunrise lag der Fokus bewusst auf einer leicht stärkeren Soll-Ausrichtung („Wir sind vielleicht nicht alles schon heute, aber es ist realistisch erreichbar und in der Kultur angelegt“). Vielfach waren die Eigenschaften der Challenger-Mentalität sogar schon da, wenngleich sie noch konsolidiert und ausgerichtet werden mussten.
Auch hier wird betont: Ehrlichkeit und Transparenz (“Wir entwickeln uns dorthin und laden dich ein, den Weg mitzugestalten, aber es ist nicht alles schon Realität”) sind entscheidend, sowohl für neue als auch für bestehende Mitarbeitende.
Die Risiken einer bloßen Marketing-Inszenierung
Georg und Paul gehen intensiv auf die typischen Fehler der Branche ein – etwa, dass EVPs als „ästhetische Ends“ oder reine Kommunikationsslogans missverstanden werden, bei denen der Soll-Zustand behauptet, aber nicht gelebt wird.
Das Ideal: Ehrliche Kommunikation über Status und Zielbild, sowie eine konsequente Weiterentwicklung der Organisation in Richtung EVP.
Gerade zu starke Agentursteuerung und Schönfärberei führen dazu, dass neue oder auch bestehende Mitarbeitende sich nicht wiederfinden (“Wäre auch gerne bei diesem Unternehmen, über das ihr da sprecht”). Paul hebt hervor, wie sorgfältig Sunrise darauf geachtet hat, dass im Kreativprozess das gemeinsam Erarbeitete nicht durch zu viel „Agentur-Stil“ übertüncht wird.
Er und Georg fordern einen realistischen, ehrlichen und klar am Business und an den Menschen orientierten EVP-Prozess – und keine losgelöste Branding-Aktion, die mit der strategischen Unternehmensentwicklung wenig oder nichts zu tun hat.
Rollout und Verbindlichkeit – Wie sorgt man für nachhaltige Umsetzung?
Ein wichtiger Erfolgsfaktor, so sind sich Paul und Georg einig, ist die Verbindlichkeit in der Umsetzung:
- Launch ist nicht Umsetzung, sondern Startpunkt der eigentlichen Veränderungsreise.
- Führungskräfte und Management können nicht am nächsten Tag 100% der EVP erfüllen, aber müssen konsequent in die gewünschte Richtung entwickeln.
- Es braucht ein Erwartungsmanagement in Einbindungsprozessen: Beteiligung heißt nicht „jede Meinung wird umgesetzt“, sondern alle Stimmen werden ernst genommen und in die Findung eingebracht; am Ende aber ist es eine unternehmerische Entscheidung, wohin das Zielbild zeigt.
- Das Unternehmen muss sich darauf verpflichten, die Transformation vom Ist zum Soll aktiv und nachvollziehbar zu steuern.
Gerade in der Phase nach dem Livegang ist es wichtig, nicht in Aktionismus zu verfallen, sondern konsequent an der Konsolidierung, Operationalisierung und „Erlebbarkeit“ der neuen EVP zu arbeiten.
Die Herausforderung der kritischen Masse und Akzeptanz
Eine weitere wichtige Wahrheit: Weder intern noch im Management kann man 100% Zustimmung erwarten – auch nicht im Bewerbermarkt. Aber man braucht die „kritische Masse“ an Mitstreiter*innen, um Bewegung zu erzeugen.
- Paul illustriert dies an konkreten Beispielen aus dem EV-Prozess: Es gab auch kritische Stimmen, teils erst skeptisch, teils pragmatisch abwartend – und genau diese sind oft die wertvollen „Sparringspartner“, um Klarheit zu gewinnen und „Ecken und Kanten“ im Prozess zu zeigen.
- Auch bei Führungskräften und Topmanagement gilt: Man braucht nicht alle, aber die wichtigen Meinungsführer sollten im Boot sein – sonst blockiert das System.
„Challenger Spirit“ als Identität und Differenzierungsfaktor
Das Herzstück: Das Challenger-Mindset ist für Sunrise eine echte Identitätsstiftung. Gerade die Position der deutlichen Nummer 2 im Markt erzeugt keinen Stillstand, sondern einen gesunden Wettbewerbssinn, einen inneren Antrieb und ein kollektives Ziel.
Die Mitarbeitenden und Führungskräfte empfinden dies als sinnstiftend („Wir holen die Nummer 1 noch ein“, „Wir wachsen an jeder neuen Herausforderung“).
Auch in den Real Challenger Talks zeigt sich, wie viel Freude und Energie durch diesen gemeinsamen Spirit ausgelöst werden.
Herausforderungen, Entwicklungen und Ausblick
Für die kommenden Monate und Jahre sieht Paul vier große Herausforderungen und Chancen:
- a) Technologische Veränderungen:
Die Einführung der neuen KI-basierten Recruiting-Plattform ist nicht nur ein IT-Thema, sondern ein Change, der wiederum alle Teams und Teammitglieder bewegt. Wichtig ist, Automatisierung zur Entlastung zu nutzen und mehr Zeit fürs Wesentliche (Kandidat*innen, Business, Sparrings) zu gewinnen. - b) Change Management:
Auch ohne neue Technologie oder Brand gibt es schon viele parallele Veränderungen. Change Management umfasst einerseits inhaltliche Kommunikation (z. B. an der Schnittstelle von Corporate Brand und Employer Brand), anderseits aber auch die Frage, wie man Menschen früh abholt, partizipieren lässt und Rollenklarheit schafft. - c) Konsistenz im Unternehmen:
Wichtige Herausforderungen betreffen die Konsistenz der Kommunikation und der internen Programme. Das EVP muss als verbindliches, zentrales Element die vorhandenen Initiativen, Werteprogramme, Trainings und Führungsgrundsätze so verbinden, dass sich alle Initiativen aus ihr ableiten lassen. - d) Datenbasierte Steuerung:
Mit der neuen Plattform sammelte Sunrise schon jetzt enorm viele Daten (z. B. zur candidate journey, zu skills gaps). Das Ziel: Diese Insights systematisch zur weiteren Optimierung des Employer Brands und für gezielte Personal- und Kommunikationsmaßnahmen zu nutzen.
Schlusswort und Ausblick
Die beiden Gesprächspartner sind sich einig, dass die erfolgreiche Einführung eines EVP und seine Verankerung tief in der Organisation ganz wesentlich davon abhängen, wie glaubwürdig Partizipation, Kommunikation, aber auch Konsequenz in Umsetzung und Change Management sind.
Paul fasst die Erfolgsgeschichte des Challenger-Mindsets und des Employer Branding bei Sunrise abschließend als „extrem spannende, hochdynamische Reise“ zusammen, in der gerade die frühe und breite Einbindung, der ehrliche Umgang mit „Soll“ und „Ist“ sowie die konsequente Umsetzung für langfristigen Unternehmenserfolg sorgen.
Georg schlägt abschließend vor, dass die Entwicklung bei Sunrise Stoff für eine weitere Gesprächsrunde in 6–12 Monaten bietet, um zu sehen, wie nachhaltig und wirksam die neue EVP in der Organisation und am Markt verankert werden konnte.
Fazit:
Die Episode gibt durch die Perspektive von Paul Hammelmann und die kritischen Nachfragen von Georg einen tiefen, praxisnahen und ehrlichen Einblick in die Entstehung eines modernen Employer Brands. Alle wichtigen Erfolgsfaktoren (Partizipation, Ehrlichkeit, Strategieeinbindung, Konsistenz, Operationalisierung) und viele typische Fallstricke werden offen besprochen. Besonders hervorzuheben ist der Fokus auf Kulturwandel als dauerhaften, partizipativen Prozess – kein Kampagnenthema, sondern ein langfristiges, unternehmenskritisches Change-Vorhaben, das Identität und Wert stiftet.
Alle Links zu Paul Hammelmann:
LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/paulhammelmann/
Unternehmen: https://www.sunrise.ch/en/corporate-communications/home