Über Agnes Mathes
Agnes Mathes ist seit bald zehn Jahren bei West Pharmaceutical Services Deutschland GmbH & Co. KG beschäftigt und leitet aktuell den Bereich Personal des mit 1.200 Mitarbeitern größten Werks der West-Gruppe am Standort Eschweiler. Dort betreuen sie und ihr Team alle operativen HR-Tätigkeiten von der Einstellung bis zum Austritt. Zudem verantwortet sie deutschlandweite strategische Projekte und ist Teil des Management Teams. Agnes bringt weitere zehn Jahre berufliche Erfahrung aus der Automobilindustrie mit, die sie in den Bereichen Internationales Marketing, Forschung & Entwicklung sowie der Personalabteilung sammelte. Agnes studierte European Business Administration an der Cologne Business School und University of Hertfordshire und schluss das Studium mit einem Bachelor (Hons) ab.
Über die Episode
In dieser spannenden Folge des CULTiTALK begrüßt Georg Wolfgang, Host und Kopf hinter dem Culturizer, Agnes Mathes. Agnes ist Personalleiterin an einem großen deutschen Produktionsstandort eines US-Pharmakonzerns – und bringt, wie schnell klar wird, nicht nur viel Erfahrung und Leidenschaft für das Thema Führung mit, sondern auch messerscharfe Analysen, wie Produktionskultur und Leadership Development tatsächlich zusammenhängen. Das ausführliche Gespräch dreht sich um die Herausforderungen und Chancen von Führung in der Produktion, die Feinheiten von Unternehmenskultur, wie zentrale und lokale Identitäten im Konzern zusammenspielen und warum Harmonie manchmal auch trügerisch sein kann.
Von der Forschung in die Produktion: Agnes‘ Weg und die Besonderheiten am Standort
Zu Beginn stellt sich Agnes vor und schildert ihren Karriereweg: Gestartet in der externen Kommunikation und Verwaltung eines F&E-Zentrums, kam sie relativ früh in Berührung mit Führungsverantwortung. Schnell kristallisierte sich für sie heraus, dass sie die Vielseitigkeit und das Zusammenspiel unterschiedlicher Abteilungen – insbesondere auch nah an der Produktion – besonders reizen. Der Sprung in die Personalabteilung führte sie schließlich zu ihrem heutigen Arbeitgeber: Ein Produktionsstandort mit über 1.100 Mitarbeitenden, dessen Herz die Herstellung von pharmazeutischen Verpackungen ist.
Agnes beschreibt, wie sich ihr Verantwortungsbereich stetig erweitert hat – von kleineren Werken bis zur heutigen Leitung des gesamten Personalbereichs. Besonders wertvoll findet sie die Erfahrung, dass Produktion kein isolierter Raum ist, sondern wie ein Mikrokosmos mit ganz eigenen, aber auch geteilten kulturellen Eigenheiten funktioniert. Es gibt nicht die eine, standardisierte „Werk-Kultur“, sondern Unterschiede zeigen sich zwischen Standorten, Abteilungen und sogar zwischen Werken, die nur wenige Kilometer auseinanderliegen.
Dezentrale Identität trifft Konzernstruktur
Georg und Agnes diskutieren, dass Produktionsstandorte – insbesondere so große wie der in Eschweiler – zwar stark in einen globalen Konzern eingebettet sind, aber trotzdem eine Art „eigenes Unternehmen im Unternehmen“ darstellen. Werte, Vision und Kultur werden konzernweit definiert, doch die Umsetzung vor Ort variiert und lebt von den Menschen und der jeweiligen Situation. Agnes schildert sehr anschaulich, was „Produktionsidentität“ bedeutet: Die klare Fokussierung auf den Wertschöpfungsprozess, aber auch das Wissen, dass Produktion, Quality, Verwaltung und HR nur gemeinsam funktionieren. Zentralisierung ist gefragt, aber ohne Autonomie und die Berücksichtigung lokaler Besonderheiten läuft es nicht.
Gerade an der Maschinenstraße entsteht eine ganz besondere Verbundenheit mit dem physischen Standort – und diese Identität kann, richtig gelebt, ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl und Motivation produzieren als viele abstrakte „Kultur-Kampagnen“.
Leadership Development: Warum jede Ebene zählt
Einer der roten Fäden dieser Folge: Agnes und Georg finden, dass die Entwicklung von Führungskompetenzen und Kulturentwicklungsprogramme in zu vielen Unternehmen als elitär betrachtet werden – sie adressieren häufig nur höhere Hierarchieebenen oder Wissensarbeitende, während die Produktion (und dort insbesondere das Schichtleitungspersonal) unter dem Radar bleibt. Agnes macht deutlich, dass dies weder sinnvoll noch zeitgemäß ist: Gerade in der Produktion gibt es Hunderte Führungskräfte (an ihrem Standort rund 113 allein), die tagtäglich einen riesigen Wirkungsbereich haben.
Zentrale Anliegen von Agnes sind:
- Führungskräfteentwicklung muss ganzheitlich gedacht werden – vom Schichtleiter bis zum Werkleiter, unabhängig vom Ausbildungsgrad.
- Die klassischen Wege (lange Betriebszugehörigkeit = nächste Karrierestufe = Führung) greift zu kurz. Es braucht bewusste Entwicklung, individuelles Feedback und die Chance, auch wieder „zurück“ zu gehen, wenn Führung sich als nicht passender Weg herausstellt.
- Professionalisierung der Führungsrolle: Führung ist kein „Nebenjob“, zu dem man irgendwie „hineinrutscht“, sondern eine anspruchsvolle, stetig zu entwickelnde Profession – genau wie jede andere Expertenrolle. Gute Führung zeigt sich nicht allein an Titeln oder Dienstjahren, sondern an der Wirksamkeit mit Menschen und Teams.
Agnes betont: Führung „lernt“ man nie abschließend – neue Generationen, neue Themen, neue Teamkonstellationen machen lebenslanges Lernen zur Notwendigkeit. Und: Der echte Karriereweg muss nicht zwingend zur Führung laufen. Unternehmen sollten auch Expertenlaufbahnen und andere Entwicklungspfade wertschätzen und ermöglichen, ohne dass Nicht-Führung stigmatisiert wird.
Führungswechsel in der Schicht: Mehr als nur ein Karriereschritt
Ein spannender Teil des Gesprächs widmet sich dem „Umstieg“ vom Anlagenführer zur Schichtleitung: Der erste Schritt in Führung, der in Produktionsumfeldern sehr präsent ist. Agnes schildert, dass diese Transition anspruchsvoll ist, gerade weil der neue Schichtleiter aus dem Kollegenkreis kommt. Die Herausforderung: Die Balance zwischen Nähe und nötiger Konsequenz, zwischen Mensch bleiben und Arbeitgeberinteressen vertreten. Es braucht die bewusste Entwicklung von Kompetenzen, gezielte Unterstützung sowie die Bereitschaft (und Freude!), sich mit menschlichen Themen, Feedback und Konflikten auseinanderzusetzen. Führung auf diesem Level entscheidet oft mehr über Produktivität, Stimmung und Qualität als jede technologische Neuerung.
Kultur, Einfluss und das Ende der „alten“ Führungsmodelle
Ein Tenor der Folge: Karriere wird (noch immer) häufig als Steigerung von Führungsverantwortung verstanden – oftmals unabhängig davon, ob echtes Führungsinteresse oder -talent vorliegt. Georg und Agnes sind sich einig, dass das nicht mehr zeitgemäß ist. Einfluss und Gestaltungswille sollten sich (und werden sich künftig noch mehr) von klassischen Hierarchiestufen ablösen. Unternehmen, die echtes Influencing – also Impulse, Innovationen und Ideen unabhängig von der Rolle – zulassen und honorieren, werden erfolgreicher sein. So entsteht auch für Menschen, die nicht führen wollen, aber Dinge bewegen möchten, ein sinnvoller Karriereweg.
Das Missverständnis Harmonie: Wertschätzung kontra Konfliktfähigkeit
Im letzten Drittel gehen die beiden tief auf das Thema Harmonie ein – und räumen auf mit dem Missverständnis, dass „Harmonie“ heißt, unangenehme Themen zu vermeiden. Für Agnes ist echte Harmonie das Resultat von professioneller Reibung und konstruktiv ausgetragenen Konflikten: Erst wenn Spannungen und unterschiedliche Ansichten offen angesprochen werden, entsteht ein vertrauensvoller, belastbarer Zusammenhalt. Sonst bleibt die Harmonie an der Oberfläche, verhindert Innovation und Entwicklung und lässt Mitarbeitende im Unklaren darüber, wie ihre Leistung wirklich bewertet wird.
Entscheidend sei, dass Führungskräfte nicht aus dem Bedürfnis nach Beliebtheit oder Bequemlichkeit wichtige Themen aussparen. Es braucht das Bewusstsein, dass kritisches (und auch positives!) Feedback im Alltag und im direkten, situativen Austausch vermittelt werden sollte – formalisierte Mitarbeitergespräche ersetzen kein ehrliches, kontinuierliches Miteinander. Hierzu gehört die Trennung von Mensch und Rolle: Kritik an Verhalten heißt nicht Kritik am Menschen, Wertschätzung ist keine weichgespülte Nettigkeit, sondern kann (muss!) auch sehr direkt sein.
Wertschätzung und Kritik: Zwei Seiten einer Medaille
Ein wichtiges Plädoyer von Agnes: Wertschätzung und Kritik sind nicht Gegensätze – beides ist Teil professioneller Führung. Wer sich wirklich für seine Mitarbeitenden interessiert, muss sich aktiv mit ihnen beschäftigen, individuelle Wahrnehmung und Bedürfnisse verstehen und offen kommunizieren. Das heißt nicht, jedem Feedbackthema aus dem Weg zu gehen, sondern es geht darum, mit Respekt und Wohlwollen, aber auch der nötigen Klarheit, die Dinge anzusprechen, die gut und die (noch) nicht gut laufen. „Den Menschen als Menschen zu sehen, aber das Verhalten – positiv wie negativ – zu adressieren“, ist ein zentrales Leitmotiv.
Zusammengefasst: Führung als ständiger Prozess und Motor für Kultur
Das Gespräch zwischen Agnes und Georg ist ein eindringlicher Appell für die Professionalisierung und Wertschätzung von Führung, gerade im Produktionskontext. Es wird klar, dass moderne Unternehmenskultur und nachhaltige Entwicklung nicht von elitär gedachten Programmen leben, sondern von der Alltagswirksamkeit aller Beteiligten – auf allen Ebenen. Führung wird als ständiger Entwicklungsprozess verstanden, geprägt von lebenslangem Lernen, Authentizität und Mut zur Reibung. Wer die Kultur der konstruktiven Auseinandersetzung und Wertschätzung lebt, fördert Innovationsfähigkeit, Identifikation und (letztlich) den gemeinsamen Unternehmenserfolg.
Abschied und Ausblick
Am Ende bedanken sich beide für das offene und bereichernde Gespräch. Agnes wünscht sich, dass Hörer:innen aus der Folge die Inspiration mitnehmen, ihre Komfortzone zu verlassen, den eigenen Führungsstil zu reflektieren und Führung nicht als Status, sondern als echte Profession – und als kontinuierlichen Lernprozess – zu begreifen. Denn: Die Produktionswelt (wie die ganze Arbeitswelt) braucht nicht „fertige“ Führungskräfte, sondern solche, die bereit sind, sich gemeinsam mit ihrem Team und ihrer Organisation immer weiterzuentwickeln.
Hörempfehlung: Diese Folge ist ein Muss für alle, die sich mit Führung, Teams und Unternehmenskultur beschäftigen – egal, ob in der Produktion, Verwaltung oder im „People Business“. Ehrlich, nahbar und inspirierend.
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